Dieses Buch will naturliebende Leser für die Schönheit und Besonderheit der heimischen Raufußhuhn-Arten – und hier insbesondere Auerhuhn, Birkhuhn und Haselhuhn – begeistern. Diesem Anspruch wird dieses Werk aus gleich zwei Gründen gerecht: Zum einen sind die beiden Autoren ausgewiesene Raufußhühner-Experten, die über Jahrzehnte hinweg diese Flaggschiffarten des Naturschutzes beobachteten und erforschten, zum anderen ist das Buch über die Maßen gut ausgestattet mit Photographien, die den Leser überraschen und begeistern: z.B. zwei höchst erregte Auerhähne im Revierstreit (S. 85), Birkhuhn in der Drehung des Flattersprungs (S.128) oder ein Alpenschneehuhnpärchen im weißen Winterkleid im Schnee (S. 190).
Nach einem informativen Einführungskapitel Faszination Raufußhühner – die ganze Familie im Blick folgen zehn Porträts: Auerhuhn, Steinauerhuhn, Birkhuhn, Kaukasusbirkhuhn, Haselhuhn, Chinahaselhuhn, Sichelhuhn, Alpenschneehuhn, Moorschneehuhn, Schottisches Moorschneehuhn. Mit diesen Porträts wird der Leser auf eine Reise mitgenommen, die von den heimischen Regionen über den Kaukasus, das Amur-Gebiet, Sibirien bis in die Hochgebirge Chinas führen. Überall dort haben die beiden Autoren die Raufußhühner beobachtet und erforscht. Der Reiz dieser Porträts liegt auch im Vergleich der heimischen Arten mit den nahe verwandten Geschwisterarten, die in China, im Kaukasus und in Sibirien leben. Gerade weil der naturbegeisterte „Normalbürger“ kaum noch eine Gelegenheit bekommt, in der freien Natur diese herrlichen Tiere zu beobachten, wird ein Buch wie dieses zum genussvollen Ersatz. Nach der Lektüre weiß der Leser nicht nur viel Ungewöhnliches über das Balz- und Fressverhalten, über die Evolution sowie über die Lebensweisen dieser scheuen Vögel, sondern er bekommt auch eine Ahnung, was uns an wilder Natur verloren gegangen ist.
Das Buch ist sehr beeindruckend geworden, aber es löst beim Leser auch viel Trauer aus: Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Europa noch Millionen von Raufußhühnern. Heute sind Auerhühner, Birkhühner und Haselhühner nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Mitteleuropa eine Seltenheit geworden. Auerhuhn und Birkhuhn sind in unserer Heimat inzwischen vom Aussterben bedroht, und auch das Haselhuhn ist zunehmend gefährdet.
Wie dramatisch dieser Rückgang geworden ist, offenbart die Sächsisch-Böhmischen Schweiz. Einst lebten hier alle drei in Mitteleuropa vorkommenden Raufußhühner, wie die Abschusslisten der früheren sächsischen Könige eindrucksvoll belegen. Als erste Art verschwand das Haselhuhn um 1920, vor allem bedingt durch die forstliche Umstellung der Wälder von großflächig laubholzreichen Mischwäldern hin zu monotonen Fichtenforsten. Damit verschwanden all die mannigfaltigen Strukturen, wie Windwürfe oder Brandflächen. Es fehlte nun an Weichlaubhölzern wie Espe, Birke und Eberesche, die für die Ernährung des Haselhuhns essentiell sind. Der Rückgang der Haselhühner begann infolge der forstlichen Umstellung der Wälder vergleichbar früh. Und ebenso zwangsläufig folgte das Aussterben. Das Auerhuhn verschwand im Basteigebiet in den dreißiger Jahren und um 1975 starb in der hinteren Sächsischen Schweiz die letzte Population aus. 1960 lebten noch ca. 30 Vögel. Ursachen waren neben der der forstlichen Umstrukturierung der Wälder vor allem die touristische Entwicklung und die Zunahme des Klettersports. Mit dem 1990 gegründeten Nationalpark Sächsische Schweiz und dem böhmischen Nationalpark könnte sich die Chance eröffnen, durch Wiederansiedlungen dieses Raufußhuhn-Arten einer Landschaft ihr ursprüngliches Gepräge zurückzugeben.
Wie ungemein schwierig eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist, offenbaren die elf Auerhuhn-Aussiedlungsprojekte (u. a. im Ebbegebirge, Harz, Odenwald, in der Rhön und im Sauerland), bei denen in Deutschland seit 1950 mehr als 5400 Individuen freigelassen wurden. Nahezu alle Projekte schlugen fehl und wurden deshalb eingestellt. In menschlicher Obhut aufgezogene Auerhühner erwiesen sich als ungeeignet. Mangelnde Reaktion auf Feinde, gestörte Nahrungsverwertung und Abnormalitäten im Verhalten sind ‑einige der Ursachen. Nur in Thüringen und der Niederlausitz Brandenburgs darf man noch bzw. wieder hoffen … .
Ziel dieses Buches ist es, möglichst viele Leser zu erreichen und zu begeistern. Der gut lesbare Text und die exzellente Bebilderung werden dieses Vorhaben befördern. Eine Kritik erscheint dennoch angebracht zu sein: Warum gibt es kein einleitendes Kapitel über die ungemein reichhaltige Kulturgeschichte der Raufußhühner? Seit über drei Jahrhunderten ist der Auerhahn aufs engste verbunden mit der Gaststättenkultur. 1746 eröffnete die berühmt gewordene Gaststätte „Zum Auerhahn“ in Wernigerode. Bereits davor und vor allem danach gab es ungezählte gleichnamige Gaststätten. Und überall wurden Schnäpse ausgeschenkt, benannt nach den beliebten Raufußhühnern. Noch weiter zurück reicht die Geschichte der Malerei, die in den vergangenen 500 Jahren zu wunderbaren Porträts der Raufußhühner führte. Ebenso vielfältig die Porzellane, Zinkgefäße, Ofenkacheln, Gläser, Gardinenschmuck, Intarsien, Tapeten usw. Hinzu kommen die Märchen, und die Liedkunst. Und dann die Jagdgeschichte und die Jagdgeschichten … Diese Beispiele zeigen, wie tief die wilden Hühner im öffentlichen Bewusstsein verankert waren. Wäre es nicht bereichernd und vor allem zweckdienlich, wenn die beiden Autoren bei der bald zu erwartenden Nachauflage solch ein Kapitel integrieren? Oder gar zusätzlich ein neues Buch über die Kulturgeschichte vom „Auerhuhn & Co“ verfassen würden?
Dr. Reinhard Piechocki, Insel Rügen
bestellen: Hans-Heiner Bergmann: Auerhühner & Co.